Zielgruppe fürchtet „Dumm oder faul“-Vorurteil

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Das Sonderangebot der ARD richtet sich auch an Menschen mit Leseschwierigkeiten. Die könnten das laut einem Verband eher „negativ“ aufnehmen.

„In Deutschland heißt das Militär Bundeswehr. Bei der Bundeswehr arbeiten Soldaten“, sagt Moderatorin Susanne Holst in der ersten Ausgabe der etwas anderen Nachrichtensendung. Die „Tagesschau“ gibt es seit Kurzem in einfacher Sprache. Dabei werden die Themen völlig anders aufbereitet als bei den gewöhnlichen Nachrichten: keine Fremdwörter, kaum Nebensätze, wenige Silben, kurze Aussagen.

Moderatorinnen und Moderatoren der Spezialausgabe sprechen zudem besonders langsam. Aber erreichen sie damit wirklich die Menschen, die sie erreichen wollen?

Moderatorin Susanne Holst in der ersten Ausgabe der „Tagesschau“ in einfacher Sprache. © Tagesschau/ Screenshot

„Tagesschau“ in einfacher Sprache: „nicht wirklich ein Vorteil“ für Legastheniker

Das Zusatzangebot der „Tagesschau“ soll sich unter anderem an Menschen mit Lese-, Lern- und/oder Hörschwierigkeiten richten. „Wir haben festgestellt, dass wir in Deutschland etwa 17 Millionen Erwachsene haben, die weder richtig lesen noch schreiben können“, sagt der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Marcus Bornheim. Allen Menschen ein seriöses Nachrichtenangebot zu machen, sei der öffentlich-rechtliche Auftrag. 

Die Reaktionen im Netz auf die „Tagesschau“ in einfacher Sprache waren gespalten. Und der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) bezweifelt, dass das Angebot hilfreich für Menschen mit Leseschwierigkeiten ist. „Menschen mit einer Legasthenie haben bei Fernseh- und Radiobeiträgen kein Problem, die Inhalte zu verstehen, da sie in ihrer Auffassungsgabe nicht beeinträchtigt sind. In diesem Fall ist die vereinfachte Sprache nicht wirklich ein Vorteil“, teilt Sprecherin Annette Höinghaus BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA mit.

ARD-Angebot könnte diskriminierend für Menschen mit Legasthenie sein

Die „Tagesschau“ in einfacher Sprache kann den Eindruck erwecken, dass ihre Zuschauerinnen und Zuschauer Bildungslücken haben. Der FDP-Politiker Christian Lindner heißt zum Beispiel nicht Finanzminister, sondern „Minister für Geld“. Nur, weil eine Person eine Leseschwäche hat, bedeutet das aber nicht, dass sie nicht weiß, was ein Finanzminister ist. „Menschen mit einer Legasthenie verfügen über die gleichen intellektuellen Fähigkeiten wie andere Menschen auch“, sagt Höinghaus.

Von Legasthenikerinnen und Legasthenikern könne das Angebot der „Tagesschau“ daher „negativ aufgenommen werden“. Denn es zeige, dass „Menschen mit einer Legasthenie bis heute als ‚dumm oder faul‘ angesehen werden“. Die Stigmatisierung und Diskriminierung sei noch immer fest in der Gesellschaft verankert, heißt es vom Verband. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2023, dass Zeugnisvermerke benachteiligend sind, die auf Lese-Rechtschreibschwächen hinweisen.

Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschand.

Kommunikationswissenschaftlerin hält „Tagesschau“ in einfacher Sprache für „sinnvoll“

Die „Tagesschau“ in einfacher Sprache will nicht nur Menschen mit Lese-, Lern- und/oder Hörschwierigkeiten erreichen. Das Programm richtet sich auch an Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, sowie Personen, die zum Beispiel aufgrund eines Schlaganfalls die Nachrichten nicht mehr nachvollziehen können. Nicht zuletzt sei die Sonder-„Tagesschau“ für „Menschen, die sich zum Beispiel nach einem anstrengenden Arbeitstag kurz und einfach informieren wollen“, erläuterte der NDR.

Es sind also viele verschiedene Gruppen, die ein einziges Angebot ansprechen soll. „Menschen schätzen grundsätzlich Verständlichkeit. Aber was für wen wie verständlich ist, ist sehr individuell. Das hängt beispielsweise vom Vorwissen oder eben auch den Sprach- und Lesefähigkeiten ab“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Thoms von der Universität Hohenheim BuzzFeed News Deutschland.

Ein zusätzliches Angebot, um andere Zielgruppen besser anzusprechen wie die „Tagesschau in einfacher Sprache“, hält sie aber „durchaus für sinnvoll“. Einfache Begriffe, Erklärungen und eine langsame Sprache seien alles Merkmale, die die Verarbeitung von Informationen erleichtern können, sagt Thoms. Damit könne der Wissensaufbau gefördert werden. Und das sei wichtig, um etwa resistenter gegenüber Fake News zu sein. (Mit Material der dpa)